Waltraud


Österreichs erster Stresstest in der Geschlechterpolitik


October 11, 2025

Im Fall Waltraud scheint weitgehende Einigkeit darüber zu herrschen, dass das Handeln von Waltraud P. abzulehnen ist. Yannick Shetty (NEOS) sprach von einem „Missbrauch“, Nico Marchetti (ÖVP) äußerte Sorgen um den Respekt vor dem Rechtsstaat, und Mario Lindner (SPÖ) sieht in Waltrauds Verhalten ein Lächerlichmachen von trans Frauen. Auf medialer Seite zeigt sich Beate Hausbichler Im Standard besorgt um den respektvollen Umgang mit den Menschenrechten. Krone und Heute wiederum befassten sich mit den Hürden eines Geschlechterwechsels. Als queere Person, d.h. als femininer, homosexueller, biologischer Mann, der seit seiner Kindheit unter repressiven Geschlechternormen leidet, wundere ich mich jedoch über diese Einigkeit. 
Ich verfolge die Diskussion schon sehr lange und intensiv. Ein zentrales Argument feministischer Kritik an den Forderungen der trans Community lautet, dass das Konzept einer Genderidentität „Frau“ repressive Normen und Vorstellungen von Geschlecht eher stabilisiere, anstatt sie aufzulösen. Feministinnen wie Helen Joyce, Kathleen Stock oder (in Österreich) Faika El-Nagashi betonen stets die Trennung zwischen biologischem Geschlecht (engl. sex) und Geschlechterrolle (engl. gender) sowie die politische Relevanz biologischer Faktoren.[1] Ihr erklärtes Ziel ist es, den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister auf diese biologischen Faktoren zu reduzieren, um die Grenzen zwischen Geschlechterrollen zu verwischen und diese letztlich ganz aufzulösen.[2] 
Die trans Community verfolgt hingegen eine andere Strategie. Befreiung von repressiven Geschlechternormen, so ihre Erklärungen, lasse sich am besten dadurch erreichen, dass der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister an das individuell gelebte Geschlecht angepasst wird. Sie setzt sich daher für den erleichterten Geschlechtswechsel von trans Frauen und für die Erweiterung der möglichen Geschlechtseinträge ein. In Österreich geschieht Letzteres etwa durch den Verein Genderklage.at, der von allen LGBTQ-Organisationen der im Parlament vertretenen Parteien unterstützt wird. 
Wichtig ist dabei festzuhalten, dass die prinzipielle Möglichkeit eines Geschlechterwechsels bereits seit den 1980er-Jahren besteht.[3] Das bedeutet, dass die Position der trans Community in Österreich seit Jahrzehnten Teil der rechtlichen Realität ist. Es sind lediglich die bestehenden Hürden für eine Änderung des Geschlechtseintrags, die eine breitere Inanspruchnahme verhindern. Daraus resultiert meine Verwirrung. Wenn das Ziel der Abbau repressiver Geschlechternormen ist und wir bereits die Strategie der trans Community verfolgen, müsste es doch grundsätzlich zu begrüßen sein, wenn auch cis Männer die Möglichkeit eines Geschlechterwechsels in Anspruch nehmen. Wenn eine breite Ablehnung von Sexismus unser Ziel ist, wäre die Ausweitung des Rechts auf Änderung des Geschlechtseintrags auf die große Gruppe der cis Personen der gewünschte nächste Schritt. Es ist auch prinzipiell nicht einzusehen, warum cis Personen die Befreiung vom Geschlecht (unabhängig von dessen Definition) vorenthalten bleiben sollte. 
Wenn jedoch gerade die Unterstützer*innen der trans Community die Inanspruchnahme dieses Rechts durch cis Personen als Angriff auf trans Personen verstehen, bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Auflösung repressiver Geschlechternormen offenbar nie das eigentliche Ziel war. Der Eindruck entsteht vielmehr, dass es darum ging, bestehende Normen zu stabilisieren, um sich bequemer innerhalb dieser Kategorien verorten zu können. Man sollte hinter Widersprüchen keine böse Absicht vermuten. Dennoch deutet die derzeitige Reaktion auf den Fall Waltraud eher darauf hin, dass eine Betonung auf die Geschlechterrolle weniger zielführend sein könnte als eine Reduktion auf biologische Faktoren. 
Ich persönlich möchte abermals vertreten, dass es in einer liberalen Demokratie ohne sexistische Gesetzgebung und mit freiem Zugang zu Ehe und Adoption für alle geschlechtlichen Kombinationen keinen zwingenden Grund mehr gibt, Geschlechtseintragsänderungen überhaupt zu ermöglichen. Der Staat sollte, wenn überhaupt, nur medizinisch relevante, d.h. biologische, Aspekte des menschlichen Lebens in Registern erfassen. 

[1] Dass es zwei voneinander unterschiedene Begriffe braucht, ist die Hauptthese in K. Stock (2021): Material Girls.
[2] Siehe dazu das Zugeständnis, dass trans Frauen feminine Stereotypen reproduzieren können sollten, in K. Stock (2021): Material Girls. S. 134
[3] Was es auch eher fraglich erscheinen lässt, ob dieser Ansatz noch zeitgemäß ist.